Hungerstreikerklärung

RAF Document ID
0019810206_01
Author
Die Gefangenen aus der RAF
Date
6.2.1981
Source
Originalkopie
Text

SOLIDARITÄT DER MENSCHEN GRÜNDET IN DER REVOLTE

Wir, die Gefangenen aus der RAF, nehmen den kollektiven Hungerstreik wieder auf.
Wir werden nicht aufhören, gegen Folter, die offene und verdeckte Vernichtung, die gesamte institutionalisierte, jetzt forcierte Strategie zur Zerstörung unserer Identität zu kämpfen.
Das staatliche Kalkül, durch gezielte systematische Differenzierung der Haftprogramme zwischen Einzel- oder Kleingruppenisolation in den perfektionierten Hochsicherheitstrakten und Scheinintegration, die Zerstörung der kollektiven Struktur und kollektiven Einheit der Gruppe zu erzwingen und gleichzeitig die Proteste der nationalen und internationalen Öffentlichkeit, der Internationalen Kommission und schließlich von AI zu unterlaufen, wird nicht aufgehen. Es kann nicht aufgehen, denn die konkrete Erfahrung, daß dieser Staat zu jeder Unmenschlichkeit fähig und bereit ist, gehörte zu den Bedingungen unserer Entscheidung, aufzustehen und uns zu bewaffnen.

In dieser Lage: jahrelang voneinander isoliert und von jedem gemeinsamen politischen Prozeß und der Außenwelt abgeschlossen, sind wir entschlossen, mit unserem einzig wirksamen Mittel - dem kollektiven unbefristeten Hungerstreik - die Trennung zu durchbrechen und uns die Bedingungen für kollektive Lern- und Arbeitsprozesse zu erkämpfen, um als Menschen zu überleben.
Wir fordern:
Anwendung der Mindestgarantien der Genfer Konvention auf die Gefangenen aus der RAF und anderen antiimperialistischen Widerstandsgruppen;
das bedeutet:
- Zusammenlegung dieser Gefangenen unter Bedingungen die Interaktion möglich machen, was die lückenlose elektronische, d.h. akustische und optische Erfassung der Kommunikation in schall-, licht- und luftkonditionierten Isolationseinheiten ausschließt - die von einer internationalen Kommission kontrolliert werden.
- Freilassung von Günter Sonnenberg, weil seine physische Rekonstruktion seiner Kopfverletzung unter der Bedingung von Gefangenschaft ausgeschlossen ist.

Der Kampf hört auch im Gefängnis nicht auf, die Ziele verändern sich nicht, nur die Mittel und das Terrain, auf dem die Auseinandersetzung Guerilla/Staat, der Krieg, weiter ausgetragen werden, und so reagiert der Staat auch in dieser Situation: gefangen und unbewaffnet - auf einen kollektiven Hungerstreik wie auf einen bewaffneten Angriff. In den gesamten Maßnahmen gegen uns gibt es nichts zweideutiges: Wir sind Kriegsgefangene mit Geiselstatus. Jedesmal in der Eskalation der Konfrontation wurde ein gefangener Kader aus der RAF hingerichtet: Holger, Siegfried, Ulrike. Als die politischen und militärischen Offensiven der RAF deutlich machten, daß die enorme Anstrengung der Repression, unter Einsatz aller Mittel die RAF zu vernichten, gescheitert war, fiel im "Special Coordination Committee" des Nationalen Sicherheitsrats der USA die Entscheidung zur Endlösung. Die Exekution von Andreas, Gudrun, Jan, Nina und unserer Schwester und Brüder aus dem Kommando Martyr Halimeh. Es war der Versuch, mit ihnen die Spur ihres Kampfes, ihr Beispiel und die Kontinuität zu tilgen. "Die Flamme zu löschen, bevor sie zum Flächenbrand wird", um so den Menschen hier in den Metropolen die Hoffnung auf Befreiung zu nehmen.

Folter und Mord an politischen Gefangenen
und die Hinrichtungen auf der Straße sind nicht mehr nur polizeitaktische Mittel im Nachfolgestaat des 3. Reiches: Deren Mittel und Ziele sind identisch geblieben.
Für den dritten Anlauf, den der deutsche Imperialismus jetzt nicht gegen sondern mit dem amerikanischen Kapital, nicht selbständig sondern als Funktion der amerikanischen Außenpolitik als Weltinnenpolitik unternimmt, ist die Vernichtung der militanten Gefangenen und der gesamten Widerstandsbewegung, die hier im Kernland des US-Staaten-Systems - der zentralen militärischen, ökonomischen und politischen Ausgangsbasis der aggressiven US-Politik seit 1945 - angreift und die Machtfrage stellt, zwingend.

Folter und Mord an politischen Gefangenen
und die Todesschußkommandos in der Türkei, Irland und Spanien gehen von den Kommandohöhen der Nato aus, die sie vermittels des BKA und der Nachrichtendienste als einheitliche Innenpolitik in Westeuropa durchsetzen will - von denselben Kommandohöhen, die in einem der letzten Nato-Briefe die Regierungen offen daran erinnern, daß auf Forderungen nach politischem Status und nach internationalen Untersuchungen der Folterungen an militanten Gefangenen nicht einzugehen ist und die übrigen Direktiven der Kriminalisierungsstrategie revolutionären Widerstands einzuhalten sind.

Gegen das menschliche Gesicht des Widerstands,
das sich auf der verbrannten Erde des bürgerlichen Widerstands und der deutschen Arbeiterbewegung vom naiven Humanismus der Ostermarsch- und Antiatombewegung über die Jugendrevolte und die Vietnamopposition zur Stadtguerilla entwickelt hat, setzen sie das entmenschlichte Gesicht von Massenmorden, weil Menschlichkeit ihre Lösung stört: die Brutalität, das Elend, die Totalität der Gewalt des Eigentums und den Genozid als "menschheitskulturelle Aufgabe" zu inszenieren.
Sie projezieren ihre Verbrechen: "Trinkwasservergiftung, atomare Verseuchung, Todesbakterien" auf die Guerilla, um die Angst, die sie selbst erzeugen, von sich abzulenken, damit sich nicht über den Begriff ihrer Ursache Widerstand entwickeln kann, die Kulmination der Hetze gegen die RAF jetzt soll um jeden Preis verhindern, daß sich der militante Protest gegen die Hochrüstung, die Militarisierung aller Bereiche, der Aufmarsch der Bundeswehr auf die Straßen, der sie wieder dorthin bringen soll, wo sie vor 35 Jahren vertrieben wurden - mit der Guerilla solidarisiert und genau unsere Erfahrung macht: daß Illegalität das befreite Gebiet des Widerstands in der BRD ist, Handlungsfähigkeit schafft.
Die staatliche Reaktion signalisiert Schwäche, zeigt seine Verletzbarkeit und die Möglichkeit, wie wir durch kontinuierliche Angriffe den Zerfallprozeß beschleunigen und in den "wirklichen Ausnahmezustand" verwandeln können - denn den Transformationsprozeß in den faschistischen Staat, in dem der Ausnahmezustand verrechtlicht ist, können wir nicht bestimmen, weil er zwangsläufig ist.

Wenn das Kapital jetzt die Voraussetzungen zu seiner weltweiten aggressiven Rekonstruktion schafft, müssen wir - alle, die Befreiung und Verantwortlichkeit, menschliches Handeln wollen - in den Ländern, von denen seine wütende Expansion ausgeht, weit genug sein, um zu verhindern, daß sich das Projekt realisiert:
müssen wir in dieser Phase die politisch-militärische Gegenmacht und so die "politische Grenze" entwickelt haben, die den militärischen Einsatz des Overkill-Potentials des US-Imperialismus verhindert, um ihn schließlich zu zerschlagen.

Wenn die militante Linke sich aneignet, was der Imperialismus in seinen Niederlagen immer wieder erfahren mußte: daß seine Macht dort endet, wo seine Gewalt nicht mehr abschreckt, hat sie das ganze Geheimnis seiner scheinbaren Unbesiegbarkeit aufgelöst.
Und sicher:
Solidarität und Zwang schließen sich aus, und sie ist nicht zu kündigen wie ein Kleinkredit.
Sie ist der praktische Ausdruck des Bewußtseins jedes Einzelnen, daß individuelle und kollektive Befreiung kein Widerspruch ist, wie die klägliche Apologie individueller Bedürfnisbefriedigung meint, sondern ein dialektisches Verhältnis - wie Befreiung hier vom Befreiungskampf der Völker der Dritten Welt nicht zu trennen ist.

Solidarität wird Wirklichkeit und Macht als proletarischer Internationalismus, d.h., den gemeinsamen Feind US-Imperialismus an dem Ort, an dem jeder mit ihm konfrontiert ist, in seinen strategischen Positionen anzugreifen, und sie ist die Basis, auf der die Linien des antiimperialistischen Kampfes vereinheitlicht werden.

Unser Hungerstreik ist Ausdruck der Solidarität mit
- den Gefangenen aus der IRA und INLA und ihrem entschlossenen und langandauernden Kampf, zuletzt dem für den politischen Status
- mit den Gefangenen aus der BR, ihrem Kampf gegen die Strategie der Vernichtung, in dem sie sich die politische Initiative erobert haben
- mit allen Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand in Westeuropa, besonders in der Türkei
- mit dem Kampf der palästinensischen Gefangenen um den Kriegsgefangenenstatus
- mit allen Gefangenen, die angefangen haben, in den Gefängnissen Widerstand zu leisten und für ihre Selbstorganisation zu kämpfen.

Den Widerstand bewaffnen
Die Illegalität organisieren
Den bewaffneten Widerstand in Westeuropa organisieren

Am 6.2.1981
Die Gefangenen aus der RAF