Programm für die Diskussion der Vorkonferenzen, 18. Mai 1917

P/15b
IISG, NL Troelstra, 426. Hekt., 2 S.1

PROGRAMM FUER DIE DISKUSSIONEN DER VORKONFERENZEN

I FRIEDENSBEDINGUNGEN

   a) Allgemeine Grundlagen des Friedens: Selbstbestimmungsrecht der Nationen, Autonomie der Nationalitäten, Annexionen, Kriegs-Entschädigungen, Wiederherstellung.2

   b) Anwendung dieser Prinzipien in den konkreten Fällen?

   1. Belgien, Serbien, andere Balkanstaaten, Polen, Finnland, Elsass-Lothringen, Nord-Schleswig,3 Armenien.

   2. Lithauen, Ukraine, Tjechen [Tschechen], Juden.4

   3. Die Kolonien.

II HAUPTGRUNDZUEGE INTERNATIONALER VEREINBARUNGEN

   a) Völkerrechtliche Bestimmungen: Internationale Rechtsordnung, Internationale Schiedsgerichte, obligatorische Untersuchungsfrist bei Konflikten, andere Mittel um den Frieden zu erhalten (League to enforce peace, sanctions, Zwangsmassregeln)

   b) Abruestung und Freiheit der Meere.

   c) Mittel, die berechtigten Beduerfnisse der ekonomischen Expansion ohne territorielle Machterweiterung zu befriedigen (Internationalisierung5 der internationalen Transportwege, Meerengen, Kanäle, Haupteisenbahnlinien u.s.w.)6

   d) Abschaffung der geheimen Diplomatie.7

III PRAKTISCHE VERWIRKLICHUNG DIESER ZIELE

   a) In wie weit muessen diese Fragen bei den eigentlichen Friedens-Verhandlungen behandelt werden?

   b) Könnten Studienkommissionen zur Vorbereitung gewisser Fragen gegruendet werden?

IV AKTION DER INTERNATIONALE8

   a) Mitarbeit der Neutralen an den [dem] Frieden

   b) Direktes Mitarbeiten der Parlamente

   c) Mitarbeit der sozialistischen Parteien9

   d) Massregeln um während der vorbereitenden Friedensverhandlungen und während der offiziellen Friedenskonferenz einen dauerhaften Einfluss auszuueben von Seite der Internationale.

V ALLGEMEINE SOZIALISTISCHE KONFERENZ

    A. Ist man bereit zur Teilnahme an einer allgemeinen Konferenz?

   1. Ohne Bedingungen?

   2. Wenn nicht, unter welchen Bedingungen?10

   a)11 Auseinandersetzung12 ueber das Verhalten der Sozialistischen Parteien während des Krieges, Schuldfragen.13

   b)14 Mehrheit und Minderheiten.15

Anmerkungen

1   Der sog. Fragebogen war von Troelstra entworfen und wesentlich formuliert worden; siehe Dok. Nr. P/08 und 08a. Eine hschr. Version Troelstras auf deutsch in IISG, NL Troelstra, 580. Mschr. und hekt. Exemplare auf deutsch und franz., bis auf geringfügige Abweichungen identisch, in IISG, NL Troelstra, 426 und 580; IISG, NL Wibaut, 226, III; ARAB, Holländsk-skandinaviska kommittén, Box 1; CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917. Diese Fassung wird im folgenden als Grundversion bezeichnet; sie lag den Separatkonferenzen bis zum Juni zugrunde. In dieser Form abgedruckt in L'Humanité 28.5.1917, S. 1, nachdem der Fragebogen von Branting Marcel Cachin in Stockholm vor dessen Rückreise nach Paris übergeben worden war, "ce document porte la date du 19 mai", heißt es da einleitend; in DSAPÖ, Parteitag Okt. 1917, Protokoll S. 72, und bei Brügel 1925, S. 293, sowie bei Balch 1918, S. 170f. (englische Übersetzung nach Holland News. Review of the Nederlandsche Anti-Oorlog Raad, 20.6.1917). Eine etwas erweiterte endgültige Fassung wurde dann auf Grund der kritischen Gesichtspunkte nach den folgenden Separatkonferenzen, u.a. mit den Östereichern (Dok. Nr. P/22) und besonders mit der MSPD am 7.6.1917 (Dok. Nr. P/29 und Nr. 29a), festgelegt. Auf dem mschr. Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917, sind die Zusätze hschr. von Troelstra notiert; die Änderungen werden in den Anmerkungen 4-8 und 10-14 unten angegeben. Dieses Exemplar enthält auch am oberen Rand die hschr. Vermerke von Troelstra "Konfidentiell" und "Ukr Bosn. Boh. Serv." [Ukraine, Bosnien, Böhmen, Serbien]. In dieser endgültigen, erweiterten Fassung beispielsweise in Internationale Korrespondenz (IK) Nr. 17, 6.6.1917, S. 117, und in norw. Social-Demokraten am 16.6.1917, S. 1, veröffentlicht sowie dann in der Stockholmer Dokumentation von Huysmans, Stockholm 1918, S. XI-XII. - Auf die Kritik am Fragebogen wegen Einseitigkeit und Lückenhaftigkeit, von der ungarischen und österreichischen und besonders der MSPD-Delagtion entgegneten vor allem Branting und Troelstra, daß der Fragebogen nur ein Instrument zur Strukturierung der Gespräche und bewußt nicht vollständig sei. Alle Probleme könnten hier nachträglich eingetragen werden. Der Fragebogen sei zudem "confidentiel[l] gemeint" (Branting in Dok. Nr. P/22) und "vertraulich" (Troelstra in Dok. Nr. P/29a). Die Fragebögen sollten auch zurückgegeben werden, "nachdem sie angewandt sind" (Branting in Dok. Nr. P/22). Siehe auch Branting in Dok. Nr. P/27a, Anm. 3. Der Fragebogen wurde aber doch öffentlich bekannt. Eine ausführliche Zusammenfassung des Fragebogens gab Stauning in seinem kurzen Bericht über die Komiteesitzung am 11.5. in dän. Social-Demokraten 12.5.1917, S. 3, sowie etwas ausführlicher in seinem Interview nach seiner Rückkehr aus Stockholm, ebd. 13.5., S. 4. Er wurde in  L'Humanité am 28.5.1917 veröffentlicht, worauf Ebert in der Sitzung mit der Delegation der MSPD am 4.6.1917 verwies, Dok. P/27a. Auch Branting wies am 4.6.1917 darauf hin, daß der Fragebogen veröffentlicht worden sei, "insbesondere im 'Berliner Tageblatt'", Dok. Nr. P/27a.

2   In dem Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917, danach hschr. ein Kreuz, das sich möglicherweise auf die Diskussion des Begriffs Wiederherstellung in der Komiteesitzung mit der MSPD am 7.6.1917 bezieht, siehe Dok. Nr. P/29 und P/29a.

3   Die Frage Nordschleswig wurde nach dem Gespräch mit Borgbjerg am 12.5.1917 aufgenommen, siehe Dok. Nr. P/10a. Das bestätigten Huysmans und Troelstra auf der Sitzung mit der MSPD am 7.6.1917, Dok. Nr. P/29 und P/29a.

4   In der hekt. Grundversion auf deutsch in ARAB, Holländsk-skandinaviska kommittén, Box 1, steht nach Juden noch Süd-Slawen. In der in DSAPÖ, Parteitag Okt. 1917, Protokoll S. 72, und bei Brügel 1925, S. 293, veröffentlichten Form sind die Länder in Punkt 1 und 2 zusammen in einem Punkt angeführt. In der endgültigen Fassung folgen nach Juden: "Flandern, Irland, Persien, Marocco, Tripolis, Egypten, Malta u s w", hschr. von Troelstra in die Grundversion eingefügt im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917. - Die hinzugefügten Länder wurden von der österreichischen Delegation am 26.5.1917 genannt, Dok. Nr. P/22, und ebenso am 7.6. von der Delegation der MSPD, Dok. Nr. P/29 und P/29a. - Von Seiten der Österreicher bzw. der MSPD wurden auch noch Korsika sowie Korea und Tibet genannt, siehe Dok. Nr. P/22 und P/28c. Korsika auch im überarbeiteten österreichischen Memorandum, nachgewiesen in Dok. Nr. P/21, Anm. 1.

5   Im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917, darüber Neutralisierung hschr. eingefügt. In der endgültigen, auch gedruckten Fassung in Stockholm 1918, S. XI-XII, dann "internationalisation ou neutralisation". So auch im Abdruck in norw. Social-Demokraten 16.6.1917, S. 1.

6   In der endgültigen Fassung danach: "Freihandel, Offene Thür in den Kolonien", hschr. von Troelstra in die Grundversion eingefügt im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917, und in einem Exemplar in IISG, NL Troelstra, 426. - Diese Punkte wurde von Renner in der Sitzung mit der österreichischen Delegation am 26.5.1917 genannt, Dok. Nr. P/22, auch von der ungarischen Delegation am 29.5., Dok. Nr. P/24, und dann am 7.6. in der Sitzung mit der Delegation der MSPD als Zusatz zum Fragebogen festgelegt, Dok. Nr. P/29a.

7   In der endgültigen Fassung danach: "Einfluss der Parlamente auf die äussere Politik", hschr. von Troelstra in die Grundversion eingefügt im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917. - Dies wurde von Seitz mit Hinweis auf die Stuttgarter Resolution von 1907 in der Sitzung mit der österreichischen Delegation am 26.5.1917 genannt, Dok. Nr. P/22, und am 7.6. in der Sitzung mit der Delegation der MSPD als Zusatz zum Fragebogen festgelegt, Dok. Nr. P/29a.

8   In der endgültigen, auch gedruckten Fassung in Stockholm 1918, S. XI-XII, dann "Action de l'Internationale et de la démocratie". So auch im Abdruck in norw. Social-Demokraten 16.6.1917, S. 1.

9   Im Exemplar in CHA, Stokholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917, danach hschr. ein Kreuz, das sich möglicherweise auf den in der Komiteesitzung mit der MSPD am 7.6.1917 vorgebrachten Vorschlag von Scheidemann bezieht, siehe Dok. Nr. P/29a, Anm. 13.

10   In der endgültigen Fassung danach ein neuer Punkt, hschr. von Troelstra in die Grundversion eingefügt im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917: "B. Bericht jeder Delegation über die Arbeit, während des Kriegs von ihrer Partei zu gunsten eines dauerh.[aften] geleistet." - Dieser Zusatz wurde von Scheidemann auf der Sitzung mit der Delegation der MSPD hervorgehoben und dann "einstimmig" in den Fragebogen aufgenommen, siehe Dok. Nr. 29 und Nr. P/29a. Der Zusatz "dauerhaft" war von Branting vorgeschlagen worden. - Auch die ungarische Delegation hatte am 29.5.1917 betont, man müsse untersuchen, was getan worden sei, nicht was man unterlassen habe, Dok. Nr. P/24.

11   In der endgültigen Fassung umgewandelt in Punkt C, hschr. von Troelstra in die Grundversion eingefügt im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917.

12   In der abgedruckten Grundversion in L'Humanité 28.5.1917, S. 1, "exposé de l'attitude des". Im Abdruck bei Balch 1918, S. 170f. (siehe oben Anm. 1) "report on the position of".

13   In der endgültigen, auch gedruckten Fassung in Stockholm 1918, S. XI-XII, "la question de la faute". Im Abdruck in norw. Social-Demokraten 16.6.1917, S. 1, ebenfalls Pluralform "skyldspørsmaalene".

14   In der endgültigen Fassung umgewandelt in Punkt D, hschr. von Troelstra in die Grundversion eingefügt im Exemplar in CHA, Stockholm, Losse documenten, Mappe Manifeste 18 mai 1917.

15   Im Abdruck in norw. Social-Demokraten 16.6.1917, S. 1, wurde dieser Punkt formulierungsmäßig etwas verdeutlicht: "Flertals- og mindretalspartiernes deltagelse i det internationale socialistiske arbeide" [Die Teilnahme der Mehrheits- und Minderheitsparteien an der internationalen sozialistischen Arbeit].