Sitzung des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation der MSPD, 12. Juni 1917

P/33b
BA Berlin, NL Hermann Müller, 188, 28-40. Mschr., 13 S.1

Sitzung vom 12. Juni 1917. vorm.[ittags] 10.20 Uhr.

   Es wird mitgeteilt, dass Branting vor 11 Uhr nicht anwesend sein kann.

   Troelstra:  Els.[aß]Lothringen haben wir abgehandelt.2 Jetzt könnte die belgische Frage behandelt werden.

   Huysmans: Bei den anderen Delegationen habe ich nicht gesprochen. Jetzt möchte ich aber sehr gern bei grösster Objektivität erörtern, was die Genossen, die in Belgien geblieben sind, hierzu zu sagen haben. Mit der politischen Wiederherstellung Belgiens sind wir einverstanden, auch die militärische Selbständigkeit ist erforderlich. Im übrigen machen wir auch einen Unterschied zwischen dem, was die Regierungen und dem, was die Sozialisten getan haben. Ich habe immer gesagt, dass die Sozialdemokratie Deutschlands niemals für Annexionen eintrat. Ich habe mich gefreut, das sagen zu können. Wie steht es aber mit der ökonomischen Wiederherstellung Belgiens? Belgien hat den Krieg nicht gewollt. Es ist eigentlich keine kriegführende Nation. Am 4. August hat der Reichskanzler die Reparation der Schäden versprochen. Belgien war vorher nicht an die Entente verkauft. In der Veröffentlichung der gefundenen Berichte war[en] anglobelgische Konversationen in Konventionen gefälscht worden. Wenn die Behauptung des Verkaufs an England richtig wäre, wäre Belgien vor 1887 an Deutschland verkauft gewesen. Am 27.11. [1914] hat das belgische Regierungsblatt noch die serbische Note verteidigt ("Das 20. Jahrhundert"). Ich habe dagegen im "Peuple" geschrieben: In Regierungskreisen war man eher deutschfreundlich als franzosenfreundlich. In klerikalen Kreisen war eine ähnliche Stimmung. Wir haben uns in Belgien in den geheimen Kammersitzungen davon überzeugen können, dass Belgien nicht an die Entente verkauft war.

   Nachdem die Deutschen ins Land gekommen waren, haben nicht nur Zerstörungen aus militärischer Notwendigkeit stattgefunden, sondern auch zwecklose Destruktionen, um damit Terrorismus zu üben. Hierüber sind in Belgien genaue Untersuchungen gemacht. Wir sind bereit, darüber nach dem Kriege Publikationen zu veröffentlichen. Dabei werden wir uns auch unterhalten über Löwen, Dendermonde und über die Dörfer auf der Höhe bei Lüttich. Ausserdem fanden ökonomische Zerstörungen statt. Nach dem Kriege werden die notwendigsten Maschinen fehlen; es wird deshalb grosse Arbeitslosigkeit sein. Man will das Land ökonomisch erdrosseln. Bei den Banken wurden die Kundenlisten festgestellt. Von den Deportationen will ich nicht reden; in dieser Sache hat die deutsche Partei ihre Pflicht getan. Das habe ich den Sozialisten der Entente immer gesagt. Sobald die Verwaltung Geld notwendig hatte, wurden Gemeinden gestraft. So wurden pro Jahr rund 60 Millionen Kriegskontributionen aufgebracht. Es wurde in das Land eingebrochen, in ihm gebrannt, gemordet, es ausgeraubt und ökonomisch ruiniert und deshalb kann Belgien nicht ohne Reparation bleiben. Hier kann die deutsche Sozialdemokratie ein gutes Wort reden; das wäre eine Brücke der Verständigung. Gestern wurde die Brücke wegen Els.[aß]Lothringen nicht betreten, nun käme eine zweite Brücke.3 Ich glaubte, das kurz zu sagen, um zu zeigen, was die Belgier denken, ohne Schimpfworte anzuwenden.4

   David: Das gesamte belgische Material habe ich leider nicht mit. Wir werden es aber nachliefern; ebenso auch die Auszüge aus der soz.[ialistischen] Presse. Die Zivilbevölkerung war nach der Haager Konferenz nicht berechtigt, sich einzumischen, wie das geschehen ist. Die Zivilbevölkerung darf nicht friedliche Truppen freundlich empfangen, um dann in der Nacht sie feindlich zu behandeln. Sonst üben die Truppen Repressalien aus, wie bekannt ist. Diese Dinge sind doch bekannt. Wir haben zahllose Mitteilungen von Soldaten, die das schildern aus der ersten Kampagne in Belgien. Ich habe von einem Neffen selbst solche Schilderungen gehört. Parteigenossen haben uns das vielfach mitgeteilt. Wie soll bewiesen werden, dass in Belgien etwas zum Zwecke des Terrorismus unternommen wurde und aus welchem Grund? Man nimmt doch so an, dass die Zivilbevölkerung nicht wagt, gegen eine so furchtbare Macht vorzugehen, wie sie das Militär darstellt. Jetzt liegen Truppen jahrelang in Belgien, sie stehen gut mit der Zivilbevölkerung; geradzu Familienbeziehungen sind angeknüpft. Natürlich kann auch hie und da manches Ungerechtfertigte geschehen sein in diesem Kampf. In Löwen war zwei Tage nichts vorgekommen. Es steht fest, dass Offiziere über den Tisch weg niedergeschossen sind. Im Zusammenhang mit einem Ausfall aus Antwerpen wurde in Löwen aus Häusern geschossen. Nach dem Kriege könnte man darüber eine gründliche Untersuchung machen. Bis dahin müsste das abschliessende Urteil zurückgestellt werden. Aus welchem Grund sollten Dörfer auf der Höhe bei Lüttich angesteckt sein? Das hören wir zum ersten Mal. So etwas würde in Deutschland allseitig Kopfschütteln erregen. Warum sollten die Deutschen die Zivilbevölkerung sich zum Feinde machen? Was die Requisitionen der Rohmaterialien und Maschinen anbetrifft, so werden unsere Fabriken davon auch betroffen. Es ist das die letzte Konsequenz der englischen Blockade. England sperrt uns wichtige Materialien, Rohgummi, Wolle, Leder völlig ab. Welche Konkurrenz sollte gelähmt werden? Die deutsche Verwaltung hat sich bemüht, in Belgien eine Reihe von Industrien geradezu in Gang zu bringen; so in Mons und Charleroi den Betrieb der Glasindustrie; in Brüssel die Spitzenindustrie. Zehntausende Frauen und Mädchen wurden darin beschäftigt, um somit der Prostitution nicht zu verfallen. Ich erinnere weiter an die Ausstellung für Säuglingsfürsorge, die die Verwaltung veranstaltete. Aus den Kontributionen werden die Kosten der Verwaltung, die Bezahlung des gesamten Apparats, die Kosten der Gesundheitspflege u.s.w. gedeckt; das Geld wird also nicht in die Tasche gesteckt. Es muss gefragt werden, in welchem Verhältnis steht das erhobene Geld zu den Bedürfnissen des Landes. Das Urteil Huysmans ist deshalb einseitig und ungerecht. Wir sind für einen Frieden ohne Annexionen und ohne Kriegsentschädigungen. Wenn Hilfe nötig ist, soll sie nicht einseitig gegeben werden. Auch bei uns in Ostpreussen wurden Häuser von anderen zerschossen.

   Wir sind auch gegen verschleierte Kriegsentschädigungen einseitiger Art. Für eine Prüfung und Untersuchung des Vorgebrachten sind wir jederzeit zu haben. Wenn etwas Ungerechtes vorgekommen sein sollte, missbilligen wird es.

   Auf eine Anfrage Troelstras: Wenn auf Grund einer unparteiischen Untersuchung, die von deutscher Seite anerkannt wird, in diesem oder jenem Fall ungerechtfertigte Schäden festgestellt sind, würde dem die Anerkennung nicht zu versagen sein. Von berufener Seite wäre dafür eine Entscheidung zu treffen.

   Huysmans: Ich kenne das Buch der deutschen Regierung über den Volkskrieg. Es steht Unrichtiges darin. Der Héristaler Fall5 ist von mir in die Presse gebracht worden. Die Sache ist erfunden, und zwar in der Gegend von Mastrich [Maastricht]. Sie wurde in den "Telegra[a]f" gebracht und später wurde sie auch in den "Peuple" gegeben. Die deutsche Verwaltung wusste, dass das Schwindel war, aber der Kollege im "Peuple" glaubte daran. Ich habe im eigenen Dorfe Untersuchungen geführt. Die Bürgergarde wurde für Franktireur angesehen. Die gewerbsmässige Schulung der arbeitenden Klasse wurde durch die Militärbehörde verboten. Wer technischen Schulunterricht organisierte, dem wurde Bestrafung angedroht. Fabriken sind im Gange, aber für militärische Zwecke. Die Organsation der Spitzenarbeiten wurde für das Rote Kreuz gemacht. Auf Beschwerden gegen diese Art des Vorgehens hat Jaffe6 erklärt, dass nichts zu machen sei. Von der deutschen Verwaltung wurde das Rote Kreuz Geld für die Textilfürsorge einfach weggenommen.

   v. Kol behauptet, dass in Belgien viele Ungerechtigkeiten begangen wurden, organisiert durch die Armeeleitung. Einzelne Rohheiten könnte man ja auf Krankheit zurückführen. In Holland sei man davon überzeugt, dass vieles geschehen sei, das nicht entschuldigt werden kann. Es sei das geschehen, um zu terrorisieren und Ruhe zu bekommen.

   Redner will das mit Einzelheiten belegen. Er bestreitet, dass es Franktireurs in Belgien gegeben habe. Er freut sich, dass die Genossen Deutschlands für eine Untersuchung nach dem Kriege sind. Aber weshalb jetzt nicht, wo man mehr in der Lage ist, die Wirklichkeit festzustellen?

   Scheidemann versteht nicht den Zweck der heutigen Aussprache. Was Huysmans vorgetragen habe, sind Behauptungen, die uns bekannt sind, die aber von deutscher Seite bestritten werden. Wir sind nicht hier, um uns darüber zu unterhalten. Van Kol sei so einseitig und deutschgegnerisch, dass man kaum verstehen könne, wie er ein Mandat zum Komitee bekommen habe. Wir haben den Standpunkt "keine Kriegsentschädigungen" eingenommen. Van Kol möchte sich doch die Verhältnisse in den Ententeländern vor Augen führen, wo die Gefangenenbehandlung in der schlimmsten Weise vor sich ginge. Wenn wir einen baldigen Frieden wollen, könne man nicht warten, bis alle Greuelgeschichten untersucht werden. Wenn später besondere Fälle festgestellt werden, so könne sicherlich darüber eine Verständigung herbeigeführt werden.

   Troelstra führt an, dass die Frage der Wiederherstellung zu dieser Aussprache geführt habe. Wenn man von "keine Kriegsentschädigungen" spreche, werde vielfach ein Unterschied bezüglich Belgien gemacht. Er bedaure, dass eine Stimmung in die heutige Aussprache hineingekommen ist, die dem Zwecke nicht dienlich sei. Er bittet, das Komitee für Entgleisungen einzelner Mitglieder nicht verantwortlich zu machen. Er gibt zu, dass das Komitee nicht imstande sei, sich über die Frage an sich auszusprechen. Er versteht auch, dass man Deutschland kaum die Verpflichtung auferlegen könne, allein Belgien auf seine Kosten wiederherzustellen. Uns genügt die deutsche Erklärung, die bezüglich einer späteren Untersuchung abgegeben wurde.

   Er schlägt vor, die Diskussion über diesen Punkt zu schliessen.

   Vidnes wünscht, dass dann von dieser Erklärung in der offziellen Publikation Notiz genommen wird.

   David erwidert dem, dass unsere Erklärung bereits das allgemein Zutreffende sage. Dass nach dem Kriege in bestimmten Fällen eine Untersuchung vorgenommen werden könne, nicht allein in Belgien, sondern auch anderswo, würde von der deutschen Partei nicht von vornherein verneint werden. Das müsse dann auch zeigen, ob in einzelnen Fällen Entschädigungen gezahlt werden sollen.

   Troelstra hält es für ungünstig, dass hier die Frage der Wiederherstellung Belgiens mit der Schuldfrage verbunden worden sei. Man könne diese auch ohne diesen Zusammenhang besprechen, was vielleicht die Frage leichter gestalten könne. Ausser Belgien kämen auch noch andere Länder in Frage. Diese Hilfe könne von den Mächten gemeinsam gebracht werden. Er betont nochmals, dass man von Deutschland nicht verlangen könne, Belgien wirtschaftlich wiederherzustellen. Wenn man die Frage stelle, wer von dem Widerstand Belgiens Vorteile gehabt habe, komme man zu der Ansicht, dass auch die Ententeländer alle Veranlassung haben, an der Wiederaufrichtung Belgiens mitzuarbeiten. Huysmans hat die belgische Frage hier angeregt, weil er von belgischer Seite darum dringend ersucht wurde. Dass die Frage der Wiederherstellung Belgiens eine grosse Rolle spiele, müsse man einsehen. Er möchte auch hier die Frage Belgiens nicht mit der anderer Länder zusammenwerfen. Er ist mit der Zusage der Deutschen einverstanden und betrachte diese als eine Brücke der Annäherung.

   David wendet sich nochmals gegen eine einseitige Behandlung von Belgien und verweist auf die besprochene Stelle in unserer Erklärung. Ob hier eine kleine Aenderung vorgenommen werden könne, müsse in einer besonderen Sitzung der deutschen Delegation festgestellt werden.7

   David und Huysmans sprechen sich noch über das ursprüngliche Verhältnis zu den Ententeländern aus.

   Die Diskussion über Belgien wird geschlossen.

   Zum Punkt "Internationale Vereinbarungen"8 legt Müller an Hand einer schriftlichen Ausarbeitung unsere Grundsätze dar.

   Das Wort wird hierzu nicht verlangt.

   Ueber Punkt 3 "Praktische Durchführung der Ziele" referiert Scheidemann.

   Zu Punkt 3 bemerkt Troelstra, dass die Studienkommissionen eingesetzt werden nach dem Frieden über Freiheit der Meere, Schiedsgerichtsfragen etc. Durch die Einsetzung solcher Kommissionen dürfe die Herbeiführung des Friedens nicht verzögert werden.

   Ueber Punkt 4 "Aktionen der Internationale"  referiert Scheidemann.

   Troelstra: Ist es nicht wünschenswert, dass während der Friedensverhandlungen in der Stadt der Friedenskonferenz ein ständiges Komitee bestehen sollte, um Verbindung zu haben mit Vertretern der eigenen Regierung?

   Scheidemann: Dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben.

   Vidnes: Die amerikanischen Genossen haben bereits zu einem allgemeinen internationalen Kongress eingeladen, auf Vorschlag von Gompers.9 (Scheidemann: Aus diesem demokratischen Land dürfen diese aber doch auch nicht weg!)

   Ebert : Ein Kongress dürfte sich während der Friedenskonferenz nicht empfehlen. Ein Kongress könnte sich einen Monat lang oder wenigstens viel zu lange hinziehen. Eine Konferenz aber, wie sie vorgeschlagen ist, kann viel schneller und besser praktischere Arbeit leisten.

   Ueber Punkt 5 "Tätigkeit der sozialdem.[okratischen] Parteien für den Frieden" referiert Scheidemann. Die Frage müsste wie folgt formuliert werden:

   "Bericht jeder Delegation über die Arbeit, die ihre Partei während des Krieges zugunsten eines dauerhaften Friedens geleistet hat".

Zu Punkt VI "Allgemeine Sozialistenkonferenz" referiert Scheidemann.

   Wortmeldungen liegen nicht vor.

   Troelstra: Damit ist die Beratung des Memorandums beendigt.

Nun möchte ich etwas sagen über die Frage der Arbeit der Konferenz.

   Sie haben ein Recht, zu wissen, wie die Lage ist. Es ist nicht leicht gewesen, die Mitarbeit der sozialistischen Parteien zur Konferenz zu bekommen. Es waren hier in Stockholm keine Vorarbeiten geleistet als wir ankamen. Die Holländer haben erst von hier aus die Sache vorbereitet, sie haben sich mit den schwedischen Genossen in Verbindung gesetzt und bei ihnen freudige und eifrige Mitarbeit gefunden. Die drei skandinavischen sozialistischen Parteien sind bereit gewesen, mit uns ein Komitee zu bilden.10 In den ersten Tagen hatten wir Gelegenheit, Brouckère zu sprechen.11 Ein paar mal sind wir mit ihm zusammengekommen. Wenngleich auch Br.[ouckère] der Einberufung einer allgemeinen Konferenz nicht günstig gegenüberstand, so haben wir doch Stütze und Mitarbeit an ihm gefunden, wegen der Separatkonferenzen. Sie wurden im Einvernehmen mit ihm beschlossen. Wir haben in den Separatkonferenzen den Eindruck bekommen, dass viele Missverständnisse bestehen. Die Separatkonferenzen sind geeignet, diese zu beseitigen. Die Memoranda aus diesen Konferenzen können den Delegationen vorher mitgeteilt werden, damit vor der allgemeinen Konferenz man sich klar werde über die Meinung der anderen. Im anderen Falle hätte die allgemeine Konferenz gewiss nicht zu nützlichen Ergebnissen geführt und nicht der Sache gedient. Dass wir uns Zeit nehmen mussten, wussten wir im Voraus. Der Sache des Friedens ist nicht im Handumdrehen zu dienen. Dazu sind die Gegensätze zu scharf. Als Vandervelde und de Man durch Stockholm kamen, benutzten wir ihre Anwesenheit zu Zwecken der Besprechung.12 Vandervelde langte in Stockholm als absoluter Gegner der Konferenzen an. Die Unterhaltungen mit dem Komitee haben ihn dahin geführt, dass er sich für Separatkonferenzen erklärte und bereit war, für die Teilnahme an solchen Konferenzen unter den Franzosen, Engländern und Russen wirken zu wollen. Ueber die gesamte Konferenz wollte er ein Urteil nicht abgeben, er sei gebunden durch die belgische Partei. Dieses Mandat ist aber nur nominal, weil die Partei darüber nicht verhandeln kann. Andere belgische Genossen sind anderer Meinung. Es kamen dann drei Engländer und zwei Franzosen auf der Durchreise von Petersburg durch, Moutet und Cachin zunächst. Das Komitee hatte mit ihnen keine Unterredung, aber Branting, van Kol, Troelstra und Huysmans hatten mit ihnen eine private Besprechung.13 Sie wollen im Lande für eine Konferenz wirken. Aber mit der allgemeinen Konferenz soll gewartet werden, bis diese Besprechungen in Frankreich erledigt seien. Es folgte dann der bekannte Streit in der französischen Partei. Die Resolution des Nationalrates entschied sich für Teilnahme. Auch die Labour Party hat in England eine Delegation ernannt und ist von ihrer ablehnenden Haltung zurückgekommen.14 Dieses Vorgehen hat bei den Regierungen eine Reaktion hervorgerufen. Die Regierungen und die bürgerlichen Parteien haben die öffentliche Meinung bearbeitet, die Pässe wurden verweigert. Ich habe aber das Vertrauen, dass trotzdem die Verhältnisse die Franzosen und Engländer zur Teilnahme drängen. Wir brauchen Zeit, wir können kein Mirakel ausführen; die das meinen, haben sich geirrt. Jetzt ist die Hauptfrage, was geht in Russland vor? Die russischen Genossen haben, ohne unsere Vorarbeit zu beachten und als ob es kein skandinavisches Komitee gebe, eine eigene Konferenz berufen. Wir haben das trotzdem freudig begrüsst, nachdem es uns gemeldet war.15 Freilich erwachsen dadurch neue Organisationsschwierigkeiten. Durch Briefe und Telegramme kam es dahin, dass der Arbeiter- und Soldatenrat unsere Arbeit fördert. Wir meinen zunächst, dass es nur nützlich sei, wenn die Neutralen die Sache führen. Was die Zulassung zur Konferenz anbetrifft, sind wir der Auffassung, dass alle dem Int.[ernationalen] Bureau angeschlossenen Parteien eingeladen werden. Ferner sollen alle Minoritätsparteien, die sich während des Krieges gebildet haben, eingeladen werden. Die Russen sind immer noch unter dem Eindruck der Zimmerwalder Beschlüsse. Ihr Herz zieht sie noch immer nach der dritten Zimmerwalder Konferenz. Das Kommen der Russen wurde hinausgeschoben, weil Skobeleff inzwischen Minister wurde und deshalb nicht reisen konnte. Axelrod, Martoff und Martinoff waren hier.16 Sie stellten sich nicht unsympathisch zur Konferenz. Aber sie haben nicht bestimmt erklärt, dass sie für die Teilnahme in Russland arbeiten wollen. Sie wollen sich erst in Russland orientieren. Sie seien zu lange weg gewesen von Russland, sagte Axelrod. Die anderen beiden wollten Bedingungen stellen. Sie wollten Garantien dafür haben, dass alles beschlossene auch ausgeführt wird. Wir sagten, dass nach Stattfinden der Vorkonferenzen erst Bedingungen aufgestellt werden können. Der Arbeiter- und Soldatenrat verlangte dann das Datum der Konferenz durch Telegramm an die soziald.[emokratischen] Parteien festzustellen und zwar die dem Int.[ernationalen] Soz.[ialistischen] Bureau und der Berner Kommission angeschlossenen. Wir haben telegrafisch geantwortet, dass wir das Datum nicht feststellen konnten, solange die Russen nicht hier waren. Wir erwarten die seit Wochen versprochene Delegation. Wenn sie da ist, könnten über die gemeinsame Aktion Vereinbarungen getroffen werden und dann könnte das Datum festgesetzt werden. Wir haben in Telegrammen an Axelord und Zer[e]telli die Schwierigkeiten geschildert. Auf unsere Telegramme kam keine Antwort, auch auf dringende nicht. Darauf erschien in Russland der Brief, den der Arbeiter- und Soldatenrat an Vandervelde, Thomas und Brouckère auf mehrere Schreiben gerichtet hatte.17 Diese drei suchten um Verständigung nach über die Zulassungsbedingungen und den Zweck der Konferenz. Dieser Brief hat auf mehrere Komiteemitglieder einen ungünstigen Eindruck gemacht.18 Mehrere Mitglieder sahen in ihm das Bestreben, die Teilnahme der soz.[ialistischen] Parteien der zentralen Länder zu hindern,19 wenn nicht unmöglich zu machen. Nicht alle Mitglieder teilten diese Auffassung. Es darf nicht so gemacht werden, dass die deutsche Sozialdemokratie nicht teilnehmen könne. Wenn die Lage so unsicher bleibt, müssen wir uns im Komitee bald klar darüber werden, was wir machen sollen. Arbeit haben wir zur Zeit noch. Wir sind ja noch mit Ihnen beschäftigt. Wir wissen nicht, wann die deutsche Minderheit kommt.20 Auf das letzte Telegramm haben wir geanwortet, dass wir die Minderheit bald erwarten. Wir haben ferner noch mit den Ukrainern21 und ferner noch mit den separatistischen Tschechen zu verhandeln.22 Ob und wann Franzosen und Engländer kommen, wissen wir nicht. Der "Sozialdemokrat" hat eine Meldung über ihr Kommen.23 In der französischen Gesandtschaft ist das Kommen von Renaudel und Longuet angedeutet, sodass wir ein Recht haben, anzunehmen, dass sie kommen. Wenn die russische Delegation nicht hierher kommen sollte, geht eine Deputation von hier nach Petrograd. Wir müssen dem Arbeiter- und Soldatenrat eine gewisse Ehre geben.24 Wir können unter seiner Firma handeln, wenn wir die Ausführung in der Hand behalten können. Das ist auch ganz gut, um Intrigen vorzubeugen, welche den Charakter der Konferenz verderben könnten. In der Frage der Zulassung kommen wir nicht ganz zusammen. Doch dürfen wir darin nicht alle zu streng sein. Wir müssen nachgeben, wenn wir die Konferenz nicht in Gefahr bringen wollen. Der Arbeiter- und Soldatenrat ist ein gutes Element. Die erste Bedingung für die Einberufung ist, dass die Konferenz ein ehrlicher Versuch wird, die Internationale herzustellen. Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten im Komitee darüber, dass wir eine Friedenskonferenz wollen und keine Kriegskonferenz. Wenn darüber nicht Einigkeit wäre, könnten wir nicht zusammenarbeiten.

   Möller teilt mit, dass Branting heute ganz verhindert sei; er muss zu dem geheimen Ausschuss in den Reichstag.

   Ebert dankt herzlich für die Ausführungen Troelstras. Im Augenblick sind keine anderen Vorschläge zu machen. Ueber den Termin der Abreise haben wir uns noch nicht verständigt. Wir entscheiden uns im Laufe de Nachmittags, ob wir abreisen oder bleiben, wenn die Engländer und Franzosen kommen.25

   Legien: Dann würde dies die letzte Sitzung sein.

   Auf Anfrage Troelstras teilt Ebert mit, dass das Komitee den Pressebericht noch bekommt.

   Troelstra: Ihre Schriftstücke erwarten wir noch, wenn möglich, möchten wir ein paar zur Hand haben. Wir hoffen, dass Sie so lange wie möglich bleiben. Wir hatten zu Beginn der Verhandlungen verabredet, dass der Bericht erst veröffentlicht werden soll, wenn die Minderheit da ist. Da diese nicht gekommen ist, geht das natürlich nicht.

   Huysmans: Die Minderheit hat mitgeteilt, sie wolle den Termin der allgemeinen Konferenz abwarten. Wir haben geantwortet, dass sie sofort kommen müsste.

   Troelstra: Die Delegation des Komitees für Petersburg ist noch nicht bestimmt. Wenn es nötig sein sollte, bin ich selbst bereit, mit hinzugehen.26

   Vidnes: Wir müssen eine Sitzung haben darüber, wie viel veröffentlicht werden soll von dem Memorandum. Vielleicht kann auch das Programm der Verhandlungen jetzt veröffentlicht werden; es ist technisch gut aufgebaut.

   Troelstra: Den Pressebericht müsse die deutsche Delegation aufstellen, die sicher dabei daran denken wird, dass er in die ganze Welt kommt. Schroffheit könnte schaden.

   van Kol: Es wäre wünschenswert, wenn zwei Genossen hierblieben. Wenn die Genossen der verschiedenen Länder erst an einem Tische sitzen, werden sie sich finden. Einer der Franzosen sagte, dass er gerne27 mit Scheidemann sprechen würde.

   Viktor Adler : Ich bin zunächst sehr pessimistisch. Ich habe erst Hoffnung, wenn die Russen da sind. Aber die Elemente, die nicht hierher kommen wollen, gewinnen an Einfluss. Sie werden in Russland durch die Ententeminister bedrängt. Wir verhandeln hier über Sachen, auf die die Augen der ganzen Welt gerichtet sind, und dabei ist die Gefahr da, dass nichts dabei herauskommt. Für den Fall wünsche ich, dass die Schuld nicht an dem Komitee und nicht an uns liegt. Ich bleibe aus persönlichen Gründen nicht gern hier, aber wir wollen bis zum letzten Punkt festgestellt haben, dass wir Geduld hatten.28 Die deutschen Genossen sind in derselben Situation.

   Troelstra: Wir sind mit Adler einverstanden. Auch die Holländer sind aus Fragen der Verantwortlichkeit hier, damit die Internationale aufrecht erhalten werden kann. Bei Verhandlungen mit den Franzosen und Engländern fühlt man sich etwas unwohl, weil man oft das Gefühl hat, dass wir Mittler sind für Dinge, die wir von unserm Standpunkt aus einfach zu verlangen haben. Aber wir werden der Sache halber das Mögliche tun.

   Legien: Wenn die Minorität käme und die Franzosen und Engländer, dann wäre diese Disposition richtig. Das Komitee täte vielleicht gut daran, zum Teil nach Petrograd zu fahren und zum Teil hier zu verhandeln.

   Troelstra: Wir haben die Absicht, den Delegationen, die noch erwartet werden, einen kurzen Termin zu stellen und dann nach Petrograd zu fahren.

   Ebert: Wir werden morgen um 10 Uhr den Pressebericht mit dem Komitee feststellen.

Anmerkungen

1   Zu diesem Protokoll siehe den Kommentar in Dok. Nr. P/27a, Anm. 1. Eine andere Version des Protokolls in Dok. Nr. P/33a; die jeweiligen Nachweise dort werden hier im einzelnen nicht wiederholt.

2   Siehe Dok. Nr. P/32a-c.

3   Zur Brückenfunktion siehe auch Dok. Nr. P/32a (Anm. 50), Dok. Nr. P/33a und Dok. Nr. P/34a.

4   Siehe Dok. Nr. P/33a, Anm. 4.

5   In der Gemeinde Herstal in der Provinz Lüttich zog die deutsche Armee nach Kämpfen am 5.-6.8.1914 ein, plünderte, steckte den Ort in Brand und ermordete 15 Einwohner.

6   Edgar Jaffé, siehe Dok. Nr. P/33a, Anm. 19.

7   Siehe Dok. Nr. P/33a, Anm. 26.

8   Bezug auf den Fragebogen, siehe Dok. Nr. P/15b.

9   Siehe Dok. Nr. P/33a, Anm. 33.

10   Siehe Dok. Nr. P/03-04 und Dok. Nr. P/06.

11   Siehe Dok. Nr. P/05.

12   Siehe Dok. Nr. P/09-11.

13   Siehe Dok. Nr. P/15c, Anm. 3.

14   Ausführlich zu den alliierten Delegationen im vorbereiteten Korrespondenzteil 1917.

15   Siehe Dok. Nr. P/07 mit Anm. 4, Nr. P/26 mit Anm. 3 und Nr. P/31a.

16   Siehe Dok. Nr. P/14.

17   Die Antwort des Arbeiter- und Soldatenrats auf den Brief von Vandervelde, Thomas und De Brouckère vom 13.6.1917 wurde am 12.6. diskutiert und formuliert und am 15.6. veröffentlicht; Wade 1969, S. 64..

18   Siehe Dok. Nr. P/31a-c und Nr. P/35.

19   "Hindern" hschr. eingefügt, gestrichen: "erzwingen".

20   Die Vorkonferenzen mit der USPD fanden am 22.-25.6.1917 statt, siehe Dok. Nr. P/44a-c.

21   Vorkonferenz am 14.6.1917, Dok. Nr. P/36.

22   Vorkonferenz am 26.-26.6.1917, Dok. Nr. P/45.

23   In schwed. Social-Demokraten 9.6.1917, S. 1, Bestätigung der positiven Entscheidung des EC der Labour Party (7.6.), Delegierte nach Petrograd über Stockholm zu senden, mitgeteilt und am 11.6., S. 5, Bericht der positiven Stellungnahme der CAP der SFIO zur russischen Konferenzeinladung (10.6.).

24   Siehe auch Dok. Nr. P/35 und Nr. P/42. Zuvor Dok. Nr. P/07 mit Anm. 4, Nr. P/26 und Nr. P/31a.

25   Zur Abreise siehe Dok. Nr. P/32c und Nr. P/33c (Anm. 8).

26   Zum Plan, nach Petrograd zu reisen, siehe Dok. Nr. P/31a, Nr. P/33a, Nr. P/34a-b und Nr. P/35 sowie Dok. Nr. P/06a (mit Anm. 11).

27   "Gerne" hschr. eingefügt, gestrichen: "morgen". - Gemeint ist Lafont, siehe Dok. Nr. P/31a, Anm. 5, und Nr. P/32c.

28   Siehe Dok. Nr. P/33a, Anm. 43.