Sitzung des Holländisch-skandinavischen Komitees mit der Delegation aus Persien, 12. Juli 1917

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CHA, Stockholm, N. & C., Juli1 1917:2. Hschr. (Arthur Engberg), 10 S.1

Persans

   Branting grüsst Herrn Molk2
im Namen d.[es] Komitees. Schlägt vor dass das Komitee ein Memorandum
bekommt.3 Für d.[ie] Konferenz wird ja eine Tagesordnung
festgestellt aber auch Fragen die nicht soz.[ialistische] Part.[eien] angehen
werden jedoch behandelt werden obgl.[eich] keine Diskussion entstehen kann.

   Huysmans: Habe gehört dass die russ.[ische]
Del.[egation] mit ihnen gespr.[ochen] hat.

   Molk: So ist es. Die russ.[ische] Deleg.[ation]
hat gefunden dass es von Belang ist diese Frage zu
berücksichtigen.4

   Huysmans: Die Frage d.[es] Einflusses. Es
wäre gut wenn dies auch mit d.[er] britt.[ischen] Leg.[ation] behandelt
werden könnte. In London muss auch diese Frage angeregt werden. Die Russen
gehen ja nach London jetzt.5 Die sollten also von der Frage
sprechen.

   Molk: Natürl.[ich] ist der Kampf für
d.[ie] Freiheit auch in den nördl.[ichen] Teil[en] von Persien. Die Frage
hat deshalb eine russische Seite. In Petrogr.[ad] herrschte die Meinung dass es
etwas gemacht werden sollte. Die russ.[ische] Reg.[ierung] hat auch die Frage
diskutiert. Die Russen werden wahrscheinlich nicht gegen uns arbeiten. -
In den Wahlen hat Mitwirkung d.[er] russ.[ischen] Elemente stattgefunden.

   Branting: Die mil.[itärische] Besetzung muss
da also nicht fortgesetzt werden.

   Molk: Die turk.[ische] Reg[ierung]
reakt.[ionär]. Nun eine bessere Regierung.6 Das
gegenwärt.[ige] Russl.[and] uns sympathisch.

   Branting: Wie ist es mit dem südl.[ichen]
Persien, ist es nicht annektiert.

   Molk: Gendarmerie, engl.[ische] u.[nd]
schwed.[ische].7

   Branting: Ist d.[ie] schwed.[ische] Gendar[merie]
aufgelöst?

   Molk: Praktisch ist es so. In Teheran sind
schwed.[ische] Reserv[e]offiziere.

   Branting: Ich verstand es so dass die Rolle
d.[er] schwed.[ischen] Gend.[armerie] zu Ende ist.

   Molk: Im 1915 als die Russen gegen Teheran gingen
so waren wir englisch. Die Gendarmerie hat teilgenommen in der Gegenwehr. Aber
die schwedische Abteilung nicht.

   Branting: Freut mich.

   Molk trägt eine Zusammenfassung seiner
Gesichtsp.[unkte] vor.

   Im 1911 hatten wir Einmischung von Amerika und Schweden. Diese
fingen grosse Organisationsarb.[eit] an. Die persische konst.[itutionelle]
Entwicklung ging vorwärts. England kam Russl.[and] davon abzuhalten. Die
Grundl.[age] d.[er] engl.[isch]-russ.[ischen] Vereinb.[arung] 1907.8
Eine gemeinsame Armee im Interesse d.[er] Russen gebildet. Im
gegenwärt[igen Moment] haben wir dann [von] der russ.[ischen]
Rev.[olution] Hilfe.

   1) Aufhebung d.[es] engl.[isch]-russ.[ischen] Vertrag[s]
190[7].

   2) Recht für Persien seine Finanzen zu ordnen

   3) Wiederherstellung unsere[r] Org.[anisation] auf moderne
Grundlage. Wir wünschen hier Hilfe von Aussen. Wir wünschen die
besten Leute dies zu ordnen.

   4) Das absolute Recht für Persien über sich selbst zu
bestimmen.

   5) Tarifprogramm. Das T.[arif] jetzt veraltet

   6) Absol.[ute] Kontr.[olle] über seine
Mineralreichtümer.

   7) Persiens Recht über seine Regimente[r]. Russland hat
dies[e] gebildet.

   Absolute Integrität für Persien sich entwickeln zu
können und hoffen wir dass auch Ihre Gefühle für d.[ie]
Menschheit auch für uns dasein werden.9 Hoffe Ihnen gute Aktion
und dass Sie Ihren gross.[en] Einfl.[uss] über die Opinion in Engl.[and]
ausnutzen wollen. Wir wünschen uns zu reorganisieren. Im Moment sind wir
gefesselt.

   Branting: Die Situation zwischen Persien und
Türkei und der deutsche Einfl.[uss] in Persien.

   In 1915 eroberten d.[ie] Russen unsere Hauptstadt. Die Russen
ockupierten die Provinzen und schlugen die türk.[ischen] Truppen. Ich
vermute dass die engl.[ischen] u.[nd] russ.[ischen] Truppen. [Satz nicht
beendet].

   Branting : Wäre nicht eine Verbreit.[ung]
des deutsch.[en] Einflusses gekommen wenn Engl.[and]-Russl.[and] ihre
Massnahmen nicht ergriffen hatten.

   Molk: Ich will Ihnen sagen dass ein Einfluss von
Deutschl.[and] da ausgeschl.[ossen] ist. Die Deutschen sind da wenig. Keine
deutschen Interessen. Die deutsch.[en] Inter.[essen] werden im Zusammenhang mit
d.[er] Bagdadbahn kommen.10 Wenn Engl.[and] u.[nd] Russl.[and]
Pers.[ien] verlassen so wird d.[er] deutsche Einfluss jedoch
zurückgehalten werden. Wir haben immer freundsch.[aftliche] Relationen mit
Russl.[and] gehabt wie auch mit Engl.[and]. Aber wir wünschen
Unabhängigkeit von ihnen.11

   Branting: Ist d.[as] Parlament durch
allg.[emeine] Wahlen gewählt?

   Molk: Wir haben ganz belgische
Konstitution.12

   Branting: Die Parteistellung

   Molk: 4 Parteien : 1) Extr[eme] Linke 2)
Rechts Centr[um] 3) Links Centr[um] 4) Rechte

   Huysmans: Schlägt vor ein Memorandum zu
sehen. Sie haben doch mit d.[en] Russen verhand.[elt]. Es wäre also gut
dies den Engl.[ändern] auch vorl.[egen] zu können.

   Molk: Ich bin hier nicht als Vorkämpfer
irgend eines anderen Interesses als das [der] Inter.[essen]
Persiens.13

Anmerkungen

1   In CHA, Stockholm, N. & C., Juli 1917:2, auch Notizen von
Huysmans (hschr., 2 S.). Fünfzeilige Notiz von Troelstra zum Abkommen von
1907 (siehe unten Anm. 8) und zum Einfluß von Rußland und England,
in IISG, NL Troelstra, 423. Bericht von Hermann Müller, 31.7.1917, in PA
AA, WK Nr. 2 c, Bd. 7, S. 68-70. - Pressekommuniqué Dok. Nr. P/54a. -
Die Sitzung dauerte nach den angeführten Notizen von Huysmans von 11 bis
12 Uhr.

2   Wahid-al-Mulk, Führender Vertreter der Demokratischen
(konstitutionellen) Partei Persiens, Parlamentsabgeordneter, zusammen mit Seyed
Hassan Taqizadeh Mitunterzeichner des unten in Anm. 3 nachgewiesenen persischen
Memorandums.

3   Ein Memorandum, datiert Sommer 1917, war bereits im Juni von
Hassan Taqizadeh zugestellt worden, in ARAB, NL Branting, 4.1:2; Manifest auch
in ARAB, Holländsk-skandinaviska kommittén, Box 1, sowie NL
Höglund, Box 6; in ABA, SDF, 823; abgedruckt in Stockholm 1918, S.
394-403. Zusammengefaßt und zitiert, da es wegen der Verschiebung des
Sozialistenkongresses an die Öffentlichkeit gelangen sollte, in
Aftonbladet 5.7.1917, S. 6, und Svenska Dagbladet 6.7., S. 8. - Nach der
Komiteesitzung übersandte Wahid-al-Mulk noch am selben Tag eine
Zusammenfassung seiner Stellungnahme ("in writing the points I had the pleasure
to discuss to-day before the Committee"), bezeichnet als "Memorandum on
Persia", in CHA, Stockholm, N. &. C., Juli 1917:2. Es enhält erstens
einige historische Daten zur Unterdrückung durch Rußland und
England, die im Memorandum genauer ausgeführt sind, nämlich 1907
(Teilungsvertrag mit Rußland und England), April 1910 (keine Konzessionen
an Ausländer in Widerspruch mit russischen und englischen Interessen),
Februar 1912 (Anerkennung des Vertrags von 1907), August 1916 (Forderung nach
Kontrolle über die persischen Finanzen und die Armee). Zweitens die
persischen Forderungen in zehn Punkten, zitiert unten in Anm. 9. - Siehe auch
die vom Memorandum ausgehenden Interviews mit Wahid-al-Mulk und Hassan
Taqizadeh in Dagens Nyheter 28.6.1917, S. 1, "Persien och fredskongressen"
[Persien und der Friedenskongreß], und Aftonbladet 29.6., S. 9, "Persien
under rysk-engelskt förtryck" [Persien unter russisch-englischer
Unterdrückung]. - Die persischen Delegierten nahmen auch an den
Aktivitäten der "unterdrückten Nationen" teil, dazu Zetterberg 1978,
S. 215ff., bes. S. 219-221.

4   In der Zusammenfassung von Wahid-al-Mulks Stellungnahme,
nachgewiesen oben in Anm. 3, heißt es dazu: "... the Delegation had
assured me that Russia of Revolution will respect the absolute independence of
Persia and that on the recommendation of the Delegation to the Central
Committee of Workmen and Soldiers a declaration to this effect, the Delegation
hoped, will soon be issued by the Russian provisionary Government". In den oben
in Anm. 3 nachgewiesen Interviews zeigt man sich in diesem Punkt nicht
besonders optimistisch. - Siehe auch den "offenen Brief" von Hassan Taqizadeh
in Stockholms Dagblad 29.6.1917, S. 7, "En persisk vädjan till det nya
Ryssland. Öppet bref till ryska interimsregeringens medlemmar"[Ein
persischer Appell an das neue Rußland. Offener Brief an die Mitglieder
der russischen provisorischen Regierung], dat. Stockholm, Juni. Taqizadeh, der
auf S. 3 auch kurz vorgestellt wird, gibt einen längeren historischen
Überblick über die Unterdrückungs- und Destabilisierungspolitik
des russischen Imperialismus. Daran schließt er die Hoffnung, daß
das neue Rußland die Prinzipien der Freiheit und Gerechtigkeit auch im
internationalen Zusammenhang praktizieren und keine russischen Übergiffe
Persien gegenüber mehr zulassen werde. Man warte "ungeduldig auf eine
klare und unmißverständliche Erklärung" ("med otålighet
på en bestämd och otvetydig förklaring").

5   Die russische Delegation reiste am 17.7.1917 von Stockholm
nach London und dann nach Paris.

6   In den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1: "Si
les Russes évacuent la Perse, les Turcs n'osent bouger". - Die
türkischen Delegierten traten für ein freies Persien ein, siehe Dok.
Nr. P/56, mit Anm. 17.

7   Zum Aufbau einer Gendarmerie siehe Kazemzadeh 1968, S.
585-591. Zum schwedischen Einsatz 1911-1915 Arne 1952, S. 125-135; Ericson
1996, S. 143-155; Persson 1971, S. 122-129; Fazlhashemi 1998, S. 7-25. In den
oben in Anm. 3 nachgewiesenen Interviews werden die wichtige Rolle der
schwedischen Gendarmerie und der gute Name Schwedens in Persien besonders
hervorgehoben.

8   Englisch-russisches Abkommen vom 31.8.1907, in dem u.a.
Persien in drei Interessensphären aufgeteilt wurde: eine nördliche
russische, eine mittlere neutrale und eine südliche englische. Die
Integrität Persiens wurde formell anerkannt. Dazu Kazemzadeh 1968, S.
498-509.

9   In der Zusammenfassung der persischen Forderungen,
nachgewiesen oben in Anm. 3, lauten diese Punkte: "1. The annulation of the
Anglo-Russian agreement of 1907 concerning Persia. 2. The restitution to Persia
of her political and economical liberty. 3. Absolute liberty for Persia to
organise her finances and her defensive forces. 4. The restitution to Persia
the right of engaging any foreign administrator she desires. 5. The absolute
right for Persia to borrow where she wants. 6. The restoration to Persia her
right over her customs tarif. 7. Restitution to Persia the right of free
navigation in her waters. 8. Absolute control of Persia over her mineral
riches. 9. Abrogation of all concessions and contracts which Russia and England
by means of threats and ultimatum extorted. 10. In short assurance to Persia
her absolute integrity for a progressive evolution of her people and the
pacific development of her resources". Jene Punkte auch mit teilweise etwas
ausführlicheren Formulierungen im Memorandum, nachgewiesen oben in Anm. 3.
- Im Interview in Dagens Nyheter 28.6.1917, S. 1, erklärte Taqizadeh, man
habe "keine übertriebenen Forderungen" ("inga överdrivna
fordringar"), wolle nur der russischen und englischen Vormundschaft entkommen.
Die Zielrichtung geht auch aus folgendem zusammenfassendem Satz in der
zitierten Zusammenfassung hervor: "To be short Russia and England have since
1907 by the regular employment of all sorts of menaces, ultimatums, military
expeditions and financial restrictions done their utmost to absoluteley destroy
the Persian independence and the Persian nationalism". - Im Memorandum und
danach auch in den Interviews ist von einer angestrebten Rolle als Schweiz in
Mittelasien die Rede: "Sein eigener Herr mit eigenen Rechten, unantastbarer
Unabhängigkeit, Recht auf Verteidigung gegen europäische
Begehrlichkeit" ("sin egen herre med oantastbar oavhängighet samt
rätt att försvara sig mot europeisk lystnad", Dagens Nyheter
28.6.1917).

10   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"a) Il n'y a pas d'influence all[emande] en Perse. Pas de commerce. b)
Influence par Bagdad? Jamais plus loin qu'Aleppo". - Zu den deutschen
Interessen siehe Gehrke 1960; darauf aufbauend Fischer 1964, S. 147f. Insgesamt
auch Kapitel "The strangling of Persia" bei Kazemzadeh 1968, S. 581-679. -
Interesse deutscherseits an der persischen Delegation in Stockholm geht aus den
Akten des AA hervor, siehe z.B. PA AA, WK Nr. 2 geh, Bd. 35, S. 184f.; Bd. 36,
S. 193; WK Nr. 2 c, Bd. 2, S. 19f., 173; Bd. 3, S. 33; Bd. 4, S. 14, 137f.; Bd.
7, S. 68-70. - Die MSPD hat in Stockholm Gespräche mit der persischen
Delegation, siehe David 1966, S. 233f., Tagebucheintragungen 9.6. und
11.6.1917.

11   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"1) Nous ne voulons pas nous séparer de Russie. Nous importons 4 plus
que recevons. 2) Nous voulons nous développer par la
liberté".

12   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1:
"a) Droit constitutionnel belge. b) Faire parler le Shah persan qui a
l'hospitalité russe. Faudrait le faire vite".

13   Nach den Notizen von Huysmans, nachgewiesen oben in Anm. 1,
auch noch Aufforderung: "Nous appelons à l'Int[ernationale]". Im
Memorandum, nachgewiesen oben in Anm. 3, wurde auch auf die Resolution des
Kopenhagener Sozialistenkongresses von 1910 zu Persien hingewiesen, in der die
interventionistische Politik des russischen Zarismus in Persien - und ebenso in
der Türkei - und der Kampf gegen "die konstitutionelle Bewegung"
gebranntmarkt wird; im Protokoll (Stuttgart 1910), S. 20.