Teilentwurf des Memorandums der serbischen Delegation, o.D. [Oktober 1917]

P/74b
CHA, Stockholm, Losse documenten. Hschr., 3 S.1

   Wiederherstellung Serbiens. Vereinigung Serbiens mit
Montenegro. Keine politischen oder wirtschaftlichen Beschränkungen von
seiten Österreich-Ungarns. Kollektive financielle Hilfe der
Grossmächte für die Regeneration der in diesem Kriege
vollständig vernichteten Produktivkräfte Serbiens.2

   Das Lebensbedürfnis für das jetzige Serbien ist
Ausgang ans Ägäische Meer über Saloniki. Serbien muss Wardartal
zur Verfügung haben.3 Saloniki soll das [der] gemeinsame
Balkanhafen werden.4 Der Zugang zum Adriameer ohne Vereinigung
Serbiens mit Bosnien, Herzegowina und Dalmatien hat keine grosse
wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung.5

   Was Makedonien betrifft, das Streben Bulgariens wie auch
Serbiens6 zu diesen ihnen beiden so verwandten Lande ist ganz
natürlich und berechtigt, und ist aus dem ganz verständlichen
Bedürfnisse nach einem grösseren wirtschaftlichen und kulturellen
Gebiet entsprungen.7 Bulgarien aber, das auch ohne Makedonien
Ausgang zu zwei Meeren hat, könnte ihre Bestrebungen angesichts Makedonien
am besten dadurch befriedigen, ohne gleichzeitig die für [an] das
Ägäische Meer geknüpfte[n] Lebensinteresse[n] Serbiens zu
beschädigen, wenn es mit dem ihm national und kulturell verwandten Serbien
eine wirtschaftliche und politische Union zusammen bildet, die den Makedoniern
eine freien und kulturellen Anschluss an die verwandten bulgarischen oder
serbischen Elementen, allen zusammen aber eine breite und günstige Basis
für die allseitige Entwickelung ermöglichen würde.8
Gleichzeitig wäre diese Union die erste und wichtigste Etappe im
Entstehungsprocesse einer grossen demokratischen Balkanföderation.

   Italien hat nichts weder in Dalmatien noch in Albanien zu
suchen.9 Ein unabhängiger albanesischer Staat soll geschafft
werden.10 Die feudalen Agrarverhältnissen in Albanien, die eine
mittelalterliche Zersplitterung, kulturelle und wirtschaftliche
Rückständigkeit des Landes, politische Unmündigkeit der breiten
Volksmassen, unbeschränkte Herrschaft der einzelnen Feudalherren und somit
jede auswärtige Intrigue und Intervention der grossen europeischen und
kleinen balkanischen imperialistischen Konkurrenten ermöglichten, sollen
sofort abgeschafft und das Land dem albanesischen Volke gegeben werden. Erst
dann wird Albanien ein lebensfähiger, wirtschaftlich unabhängiger
Staat werden, damit aber wird der Friede auch an diesem so gefährlichen
Balkanpunkte endgültig gesichert werden.11

Anmerkungen

1   Formulierungen erscheinen z.T. wörtlich im Abdruck des
Memorandums in Stockholm 1918, S. 219-222 (217-227).

2   Dieser Abschnitt wörtlich im Memorandum, Abdruck in
Stockholm 1918, S. 219. Der letzte Satz wird dort weitergeführt: "qui ont
été complètement détruites pendant la guerre par
l'occupation austro-hongroise et bulgare".

3   Wörtlich im Memorandum, Abdruck in Stockholm 1918, S.
219, nur etwas stärker: "toute la vallée de la Wardar".
Außerdem ebd. "La Serbie, telle qu'elle est politiquement construite
aujourd'hui, ne saurait vivre sans la vallée de la Wardar et sans
accès à la Mer Egée par Salonique" [der ganze Satz in der
Vorlage gesperrt]. Siehe auch Dok. Nr. P/74a, Anm. 16.

4   Im Memorandum, im Abdruck in Stockholm 1918, S. 219: "Mais
Salonique, qui d'après sa situation géographique et
d'après son importance économique, est le port principal de la
péninsule balcanique, doit, avec une partie de son Hinterland, devenir
le port commun de la Serbie, de la Grèce et de la Bulgarie. Ces trois
états pourront s'y retrouver". - Im Friedensentwurf, siehe Dok. Nr.
P/72a, heißt es mit Hinweis auf die bulgarischen und serbischen
Forderungen, daß "Saloniki mit umliegendem Gebiet der gemeinsamen
Verwaltung der drei Balkanstaaten unterstellt wird".

5   Im Memorandum, im Abdruck in Stockholm 1918, S. 219: "La route
de l'Adriatique, dont on parle tant, n'est qu'une construction artificielle de
la diplomatie, sans fondament réel, ni politique, ni économique,
ni culturel. La Serbie devrait d'abord devenir un état adriatique, c'est
á dire, se réunir avec la Bosnie-Hérzegovine et la
Dalmatie. Alors seulement, son artère de communication économique
pourrait être établie du côte de l'Adriatique". Siehe auch
Zitat in Dok. Nr. P/74a, Anm. 20.

6   Im Memorandum wird auch noch Griechenland genannt.

7   Im Memorandum, Abdruck in Stockholm 1918, S. 220: "Et, comme
la Macédoine est le centre des Balcans, elle constitue justement pour ce
motif un complément naturel de chaque partie des Balcans".

8   Im serbischen Memorandum, Abdruck in Stockholm 1918, S. 221:
"L'unique solution pratique et équitable de la question
macédonienne est la république fédérative des
Balcans avec la Macédoine comme partie autonome. De cette
manière, celle-ci ne sera plus l'objet de la concurrence et de la
rivalité, mais elle sera une individualité dans la
société des peuples des Balcans, unis et reconciliés, et
elle sera soutenue par tous les autres groupes fédérés,
plus âgés et plus expérimentés qu'elle au point de
vue politique". Siehe zur Diskussion um die Formulierung im Friedensentwurf
Dok. Nr. P/74a, Anm. 16. - Zur Balkanföderation siehe Nachweise in Dok.
Nr. P/21, Anm. 24.

9   Wörtlich im Memorandum, Abdruck in Stockholm 1918, S.
222, nur die Reihenfolge ist geändert: Albanien vor Dalmatien und
außerdem Fortführung des Satzes: "ni dans l'ensemble des
Balcans".

10   Im Memorandum, siehe Abruck in Stockholm 1918, S. 222f.,
tritt man für einen unabhängigen albanischen Staat ein, auch wenn
damit "trés grandes difficultés" verbunden seien, aber "plus
dangereux" sei eine Teilung Albaniens.

11   Dies auch ausgeführt im Memorandum, Abdruck in Stockholm
1918, S. 222f.Nr.