CFP: Strategien der Subsistenz

Call for papers, deadline 31 May 2014

Gesellschaft für Ethnographie e.V. in Kooperation; mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin 23.01.2015-24.01.2015, Berlin, IfEE/HU Berlin & FU Berlin

Deadline: 31.05.2014

THEMA

Subsistenz bezeichnet in der Geschichte der Ethnologie die Produktionsform von Gemeinschaften mit geringer Naturbeherrschung; in kulturgeschichtlich-volkskundlichen Kontexten werden damit Formen von Arbeiten und Wirtschaften primär zur Überlebenssicherung verstanden. Angesprochen sind mit Subsistenz jene Praktiken und Institutionen, die auf Selbstversorgung und selbsterhaltenden Lebensunterhalt abzielen und das individuelle oder kollektive Unterfangen, jenseits der Marktwirtschaft materielle, soziale und geistige Bedürfnisse zu befriedigen.

Gegenwärtige Praktiken der Subsistenz sind verbunden mit einer Rückbesinnung auf kleinräumiges Handeln und der Entwicklung neuer, utopischer, solidarischer und integrativer (Re-)Produktionsstrategien, die auf demokratische Partizipation abzielen. Die Abkehr von komplexen und anonymisierten ökonomischen Waren- und Finanzflows ist motiviert durch den Blick auf globale Tendenzen und Krisen-Diskurse; Ziel ist die Erweiterung alltäglicher Handlungsmöglichkeiten. Subsistenz wird in diesen Modellen zu einer Quelle materieller, spiritueller, ästhetischer, kultureller (urbaner/ruraler) Ressourcen von Sinn, auch in der Herausbildung neuer distinkter Lebensstile und -modelle.

BLICKRICHTUNGEN

In Zeiten der gegenwärtigen globalen Krise wird Menschen einerseits der Boden unter den Füßen weggezogen (Kommerzialisierung der Agrarverhältnisse, land grabbing). Menschen begeben sich in die Migration und/oder sehen sich gezwungen, z.B. in Fabrikationsorten der globalen Textilindustrie ihren Unterhalt zu verdienen. In den Städten bildet sich Neoliberalismus in der Privatisierung von Grund und Boden und in steigenden Mieten ab. Die Rückkehr zur Subsistenz ist eine Antwort darauf.

Auf der anderen Seite schwindet die Bevölkerung, fallen Siedlungen und Stadtteile mitsamt ihrer Infrastruktur wüst ? hier setzt subsistente Wissensproduktion und -vermittlung besonders für Marginalisierte und Abgehängte an. Während althergebrachte Subsistenzstrategien meist in örtlich bestehenden Gemeinschaften tradiert wurden, spielen für den Wissenserwerb bei den neuen Subsistenzstrategien auch das Internet und Strategien wie open source eine wichtige Rolle.

Neben den prekären und widerständigen Formen subsistenter Ökonomien ist zudem eine Aktualisierung moralischer Ökonomien zu beobachten. Sie stellen eine Reaktion auf die globalen Flows und die damit verbundenen Missstände dar und wenden sich explizit gegen das Wachstumsparadigma.
Stichworte sind hier das ?gute Leben? (Buen Vivir), solidarische Ökonomie, commons und Schenkökonomie. Die alternativen lokalen und regionalen Handlungsstrategien bringen über den Nationalstaat hinausreichende politische Handlungsoptionen hervor. Innovative global-regionalisierte soziale und kulturelle Subsistenzformen entwickeln sich weiter ? das führt seinerseits zu neuen Konflikten.

CALL FOR PAPERS

Die Tagung der Gesellschaft für Ethnographie am 23. und 24. Januar 2015 wird sich ausgehend von diesen Überlegungen einem breiten Spektrum an Zugängen und Themen widmen. Wir laden ein, bis zum 31. Mai 2014 forschungsbasierte Beiträge entlang folgender Frage- und Blickrichtungen
vorzuschlagen:

SUBSISTENZ IM BLICK DER ETHNO-/KULTUR-/SOZIALWISSENSCHAFTEN

- Was bedeuten die Verschiebungen von Lang- und Kurzfristigkeit für ethnographisches Forschen?
- In welcher Weise kann an bestehende ethnologische Konzepte, insbesondere der ökonomischen und der Rechtsanthropologie angeschlossen werden?
- Wie (sehr) müssen ältere ethnologische/kulturanthropologische
Konzepte (etwa der 1970er und -80er Jahre) zu Subsistenz revidiert werden, um veränderten Bedingungen, Bedeutungen und Praktiken gerecht zu werden?
Aus dieser Perspektivierung ergeben sich folgende Schwerpunkte:

RÄUME DER SUBSISTENZ

- Inwieweit bedeuten die skizzierten Prozesse und Performanzen eine Schließung/Öffnung sozialer Räume in ländlichen bzw. urbanen Kontexten?
- Welche Rolle spielt Staatlichkeit für die neuen Subsistenzstrategien, welche Praktiken von Bürgerschaft, Autarkie-Bestreben, von Mobilität bzw. Sesshaftigkeit sind in sie eingebettet?
- Wie verhalten sich unterschiedliche Formen globalisierter, vernetzter Subsistenz im globalen Norden und Süden zueinander?

SUBJEKTE, OBJEKTE & MEDIEN DER SUBSISTENZ

- Was bedeutet es für gesellschaftliche Integrationsprozesse, wenn eine wachsende Anzahl von Menschen nicht Teil von Arbeitsprozessen und sozialen Zusammenhängen ist? Was und wer ist "Ressource", wie interagieren natürliche und "Humanressourcen"?
- Wie wird Wissen um Subsistenzproduktion weitergegeben? Welche Medien spielen dabei eine Rolle? Wie ist dabei das Verhältnis zwischen lokalem und globalem Wissen?
- Durch welche Narrative, Symbole und Visualisierungen werden die historischen wie aktuellen Formen der Subsistenz repräsentiert?

Bitte senden Sie Ihr Abstract (bis zu 350 Worte) für einen etwa 20-minütigen Beitrag sowie knappe biographische Angaben bis zum 31. Mai
2014 an tagung2015@gfe-online.org. Eine Rückmeldung erfolgt bis zum 15.
Juli 2014. Eine Publikation der Beiträge ist vorgesehen. Wir bemühen uns um eine anteilige Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten.

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Informationen zur Gesellschaft für Ethnografie e.V. finden Sie auf http://www.gfe-online.org; bei Rückfragen wenden Sie sich gern an Kerstin Poehls (Hamburg), Leonore Scholze-Irrlitz und Beatrix Hoffmann (beide Berlin) via tagung2015@gfe-online.org.

[Cross-posted, with thanks, from H-Soz-u-Kult]